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Ein wahrer Freund (Rav Frand, Mischpatim 5783)

Rav Frand zu Paraschat Mischpatim 5783

Ein wahrer Freund

Der grösste Teil unseres Wochenabschnittes ist den Rechtsvorschriften, wie Zivil- und Strafgesetz, gewidmet. Wir finden hier folgenden Passuk (Vers): "Wenn der Ochse eines Menschen den Ochsen eines Mitmenschen verletzt so dass er stirbt, sollen sie den lebenden Ochsen verkaufen und das Geld dafür unter sich teilen, und auch den toten sollen sie unter sich teilen" [Schemot 21:35]. Dieses Gesetz wird zu Beginn des Traktats Bawa Kama ausführlich besprochen, gemeinsam mit anderen Gesetzen von Sachschäden, wenn sein Eigentum geschädigt wird oder durch sein Eigentum verursacht worden sind.

Der Ausdruck zu Beginn dieses Passuks "Wechi jigof Schor Isch et Schor Re'ejhu..." wird normalerweise mit den Worten "wenn der Ochse eines Menschen den Ochsen seines Freundes verletzt" übersetzt. Der Ibn Esra jedoch zitiert eine Interpretation von einem gewissen "Ben Suta", welcher eine andere Übersetzung vorschlägt. Ben Suta behauptet, dass die Worte "Schor Re'ejhu" den "Kollegen des Ochsen" bedeutet, der ihn verletzt hat. Die Worte sollten nicht als "der Ochs seines Freundes", wie wir es normalerweise übersetzen, sondern als "der Ochs verletzt seinen Freund – einen anderen Ochsen" übersetzt werden.

Der Ibn Esra nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die Interpretation von Ben Suta ablehnt. In seinem unnachahmbaren Stil schreibt er, dass "der Ochs keinen anderen 'Freund' als Ben Suta selbst hat". Mit anderen Worten, jeder, der eine solche Interpretation vorbringt, ist ein würdiger Kollege eines Ochsen und hat keinen Platz im Bejt Hamidrasch.

Der Begriff der Freundschaft und des "Rej'a" (Freund) wie in "We'ahawta leRej’acha kamocha" (du sollst deinen Freund wie dich selbst lieben) geht nur für Menschen an. Eine Freundschaft ist eine gefühlvolle Beziehung, die einen Aspekt der Menschlichkeit widerspiegelt. Tiere können Gefährten oder Partner haben. Der Begriff von Freundschaft ist für sie jedoch nicht zutreffend. Deswegen verwirft der Ibn Esra die Interpretation von Ben Suta: Sprich nicht über "Freunde von Tieren" – so etwas gibt es nicht.

Raw Hutner sZl. macht die folgende sehr interessante Betrachtung: Das Wort "Rej'a", das eines von mehreren Möglichkeiten ist, in Hebräisch das Wort "Freund" auszudrücken, kommt von der selben Wurzel wie das Wort "Terua", wie es heisst:"…Jom Terua jih’je lachem - ein Tag des Terua-Blasens soll er euch sein" [Bamidbar 29:1], bezogen auf Rosch Haschana. Der Targum Onkelos  zur Stelle übersetzt "Jom Terua" als "Jom Jebawa". "Jom Jebawa" bedeutet einen Tag des Stöhnens, oder einen Tag des unterbrochenen Schofar-Tons.

Das ist der Grund dafür, dass der Haupt-Tenor des Schofartons das "Schewarim" (Schluchzen-Ton) und der "Terua" (Heulton) sind. Es besteht eine Frage in der Halacha, ob der "Terua" der Tora die drei kurzen Töne sind, die wir "Schewarim" nennen, oder die Serie von kürzeren Tönen ist, die wir "Terua" nennen oder evtl. eine Kombination von beiden ist. Der einzelne Blaston (Tekia), der dem "Schewarim" und "Terua" vorausgeht und ihm auch folgt, liefert sozusagen nur den Rahmen, um den Kernpunkt des Schofartons hervorzuheben – den Schluchzen- und Heul-Ton des Schewarim und Terua.

Somit hat die Etymologie des Wortes Rej'ut (Freundschaft) denselben Ursprung wie der Terua-Ton, mit der Nebenbedeutung des Zerbrechens. Raw Hutner sagt, dass dies der Grund dafür ist, dass ein Freund Rej'a genannt wird – der Zweck eines Freundes ist es, "dich zu erschüttern" und "dich zu züchtigen". Ein wahrer Freund sollte uns zum Stillstand bringen und uns einen Tritt in die Magengrube geben, wenn dies nötig wird. Ein Freund ist nicht eine Person, die uns immer auf die Schulter klopft und uns sagt, wie grossartig wir sind, und alles billigt, was wir tun. Das Ziel eines Freundes (Rej'a), wie auch das Ziel des Terua-Tones ist es, uns manchmal zu sagen: "Du weisst nicht, was du tust! Du bist auf dem falschen Geleise!"

Natürlich sollte immer eine positive Beziehung bestehen. Jemand, der immer Kritik anhören muss, wird nicht lange ein Freund bleiben. Ein Mensch muss ein Mass an Vertrauen und Zutrauen zu jemandem haben, bevor er bereit ist, Kritik von ihm anzunehmen. Der Mensch jedoch, der uns dauernd auf die Schultern klopft und sagt, wie wunderbar wir sind, ist ebenfalls kein wahrer Freund. Ein wahrer Freund muss uns auch stoppen und manchmal sogar zerbrechen können.

In einer der Schewa Berachot (sieben Segenssprüche, die an der Hochzeit und den Mahlzeiten in den sieben Tagen danach, gesagt werden) beziehen wir uns auf das neu verheiratete Ehepaar als "Rej'im Ahuwim" (geliebte Freunde). Hinter diesem Ausdruck steht eine Botschaft: Damit Chatan und Kalla / Mann und Frau "geliebte Freunde" sein können, müssen sie die Fähigkeit haben, auch einander sagen zu können: "Dies ist nicht der richtige Weg, es zu tun; dies ist nicht der Weg, so zu handeln."

Natürlich ist eine Beziehung, bei der dies die gesamte Basis ihrer gegenseitigen Bezugnahme ist, nicht erfolgreich. Wenn der Mann jedoch das Verdienst hat, wird er eine Frau erhalten, die eine "Rej'a ahuwa" im vollen Sinn des Wortes "Rej'a" ist.

Deshalb hat ein Ochs nie einen "Rej'a". Kein Ochs wird je seinem Gefährten sagen, dass "es nicht richtig ist, so zu essen" oder "du isst zu viel von dem" oder "du isst zu schnell". Ein wahrer Freund muss dies tun können.

In ähnlicher Weise sagt der Neziw auf den Passuk "Eser kenegdo - eine Gehilfin, gegenüber ihm" [Bereischit 2, 18], dass ein Mensch, wenn er ein Gehilfe (Eser) sein will, manchmal ein Gegner (kenegdo) sein muss. Es sollten nicht immer nur die Worte: "Liebling, du bist wunderbar" und "Liebling, du hast immer Recht" sein. Manchmal muss man sagen: "Liebling, du verhältst dich nicht richtig!" Dies ist ein echtes Beispiel von "Rej'im Ahuwim".

Mögen wir alle das Verdienst solch wahrer Freundschaft zwischen uns und unseren Freunden und zwischen uns und unseren Ehepartnern geniessen.

Awraham ben Meir Ibn Esra (1092 - 1167): Rabbiner, Gelehrter, Bibelerklärer und Verfasser von zahlreichen Werken zu den verschiedensten Themen; Tudela, Toledo, (Spanien). Speziell in der zweiten Lebenshälfte führte Ibn Esra bis zu seinem Tode ein rastloses Wanderleben. Seine Reisen führten ihn nach MarokkoAlgerien  und Tunesien. Dann nach Salerno, Rom, Lucca, Mantua und Verona (Italien). Dann nach NarbonneBéziers, Rouen und Dreux (Frankreich). Dann nach London (GB). Fast überall verfasste er Werke, deshalb sind seine Aufenthaltsorte bekannt. Es ist umstritten wo seine Grabstätte ist.

Neziw: Akronym für Rav Naftali Zwi Jehuda Berlin (1817 – 1893); Rosch Jeschiwa der berühmten Woloschiner Jeschiwa fast 40 Jahre lang, bis sie von der russischen Regierung im Jahr 1892 geschlossen wurde. Verfasser einiger bekannter Werke wie: Ha‘amek Dawar, Ha‘amek Sche'ejla, Mejschiw Dawar, etc. • Rav Jizchok Hutner (1906 - 1980): Rosch Jeschiwah der Jeschiwah Mesifta Rabbi Chajim Berlin in New York.

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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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