Schewat/ Paraschat Beschalach

Raw Frand zu Parschat Wajera 5774

Regel Nummer eins in Sachen Gastfreundschaft:

Veranlasse nie, dass sich Deine Gäste minderwertig fühlen!

Der aktuelle Wochenabschnitt erzählt, dass drei Leute (bei glühender Aussentemperatur) an Awrahams Zelt vorbeigehen, als dieser sich gerade am Eingang seines Zeltes von seiner Beschneidung erholt und nach Gästen Ausschau hält. Er rennt auf sie zu, um sie zu begrüssen. Er besteht darauf, dass sie zu ihm kommen sollen, gibt ihnen zu essen und zu trinken und nimmt sie als "vollwertige" Gäste bei sich auf. Diese Episode ist das Paradebeispiel der Mizwa der Gastfreundschaft (hebr. Hachnassat Orchim).

Die Meinung des Ramban (Nachmanides) - im Gegensatz zu Raschi - ist Folgende: Wir lesen, dass Awraham sich an die Fremden mit dem Wort "Adonai" wandte, das im Hebräischen mit einem Kamez-Vokalzeichen unter dem Buchstaben "Nun" geschrieben wird. Dies ist dieselbe Buchstabierung, wie wir sie für den Namen G-ttes finden - was eine Indikation dafür ist, dass Awraham in ihnen Engel sah. Aus diesem Grund - so schreibt der Ramban - verbeugte sich Awraham vor ihnen.

Wenn Awraham – nach Ansicht des Ramban – quasi aus dem Stand heraus erkannte, dass dies keine einfachen Nomaden waren, sondern himmlische Wesen, dann stellt sich eine grosse Frage: Wieso bereitete Awraham für sie eine solch üppige Mahlzeit vor? Chasal  (unsere Weisen) leiten von gewissen Ausdrücken ab, dass Awraham für jeden einzelnen Gast ein separates Tier schlachtete, sodass jeder von ihnen eine köstliche Zunge bekam. Warum veranlasste er Sarah, so grosse Mengen Brot für die Gäste zu backen, wenn er doch wusste, dass sie keine irdischen Speisen zu sich nehmen würden? Engel sind schliesslich spirituelle Wesen. Sie essen weder Zunge, noch Brot, noch jegliches andere Gericht, das Awraham mit Mühe zubereitete! Wofür der ganze Aufwand?

Raw Simcha Sissel Brody, der Rosch Jeschiwa von Chewron, zitiert in seinem Buch "Sam Derech" das Prinzip, dass "prachtvoll der Mensch ist, der in G-ttes Ebenbild erschaffen wurde". Er schreibt, dass basierend auf diesem Prinzip, es keinen Unterschied macht, ob man es mit echten oder imaginären Menschenwesen zu tun hat. Die

Gesetze von "Derech Erez" (moralisch einwandfreiem Verhalten) erfordern es, Menschen und Engel gleichermassen gütig und zuvorkommend zu behandeln. Da die gastierenden Engel wie Menschen aussahen, die im Ebenbild G-ttes erschaffen worden sind, war Awraham dazu verpflichtet, sie wie Menschen zu behandeln.

Dies ist die Lehre aus diesem Wochenabschnitt: Ein Mensch, der im Ebenbild G-ttes erschaffen worden ist, muss derart gewürdigt werden, dass selbst ein Wesen von der rein äusserlichen Erscheinung eines Menschen mit genau derselben Würde zu behandeln ist.

Mit dieser Idee im Hinterkopf, können wir uns einer interessanten Beobachtung von Rabbi Levi Jizchak von Berditschew zuwenden. Die Thora beschreibt die Gastfreundschaft von Awraham wie folgt: "Er nahm Rahm und Milch und das Kalb, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor, er aber stand bei ihnen, unter dem Baum (stand, um parat zu sein, alles Fehlende zu bringen) - und sie assen." [Bereschit 18:8]. Der Berditschewer kommentiert: Die erste Regel, wie man Gäste behandelt, ist, dass sie sich wohl fühlen sollen und ihnen nicht den Eindruck zu vermitteln, sie seien minderwertig. Obwohl ihnen der Gastgeber in Wahrheit überlegen sein mag, sollte er das nie zur Schau stellen. Die Gäste sollten nie das Gefühl bekommen, "dieser Gastgeber ist in einer anderen 'Liga' als unsereins".

Wenn man am Schabbat einen Gast hat, der sich im Leben hauptsächlich mit Trivialitäten beschäftigt - und keine "Daf-haJomi-Person" oder etwas annähernd dergleichen ist, dann sollte man ihm nicht sagen: "Nun, es ist schon 21.00 Uhr. Ich muss meinen 'Daf haJomi' lernen." ["Daf haJomi" ist ein weltweiter, siebeneinhalb Jahre dauernder Lernzyklus zum Studium des gesamten Talmuds anhand einer Doppelseite pro Tag.] Wenn man ein "Tikun-Chazot-Jude" ist (der regelmässig zu Mitternacht spezielle Gebete rezitiert, die sich auf die Trauer über den zerstörten Tempel beziehen) und der Gast um 22:00 Uhr sagt, er wolle jetzt zu Bett gehen, dann sollte man ihm nicht sagen: "Oh, ich kann jetzt noch nicht zu Bett gehen. Ich muss noch 2 Stunden wach bleiben, um 'Tikun Chazot' aufzusagen." Wenn dich der Gast fragt: "Um wieviel Uhr ist der Minjan morgen früh?", dann sollte man ihm nicht antworten: "Ich verpasse nie das Gebet beim „Nez“ (Sonnenaufgang)!" - Dies ist die Regel Nummer eins der Gastfreundschaft: Veranlasse nie, dass sich deine Gäste minderwertig fühlen.

Rabbi Levi Jizchak erklärt, dass Awraham ein Problem hatte. Er wusste, dass die Gäste Engel waren. Man könnte meinen: "Es gibt keinen Weg, das zu übertrumpfen! Meine Gäste sind Engel!" - Dem ist aber nicht so. Genau das Gegenteil ist der Fall. Engel mögen Engel sein, aber sie haben ein wesentliches Manko: Es gibt kein spirituelles Wachstum bei Engeln. Sie werden so erschaffen, wie sie sind - und genauso bleiben sie, bis sie ihre Mission beenden. Sie wachsen nicht. Sie verbessern sich nicht. Sie sind statische Kreaturen (hebr. Omdim).

Menschen hingegen sind dynamisch. Sie sind ständig in Bewegung. Der Mensch ist ein "Holech" (Gehender). Er mag hoch oder runter gehen - im spirituellen Sinne, aber er stagniert nicht. Awraham Awinu hatte Gäste eingeladen, die in einem Zustand von "Omed" (stehend, bewegungslos) gefangen sind, während er ein unglaublicher "Holech" ist - ein spirituelles "Dynamo", der von einer Prüfung zur nächsten eilt und jede einzelne "mit Auszeichnung" besteht. Auf welche Weise wird er seine Gäste davor beschützen können, sich minderwertig zu fühlen? Rabbi Levi Jizchak gibt eine chassidische Interpretation zum Vers, "Er stand bei ihnen, unter dem Baum - und sie assen." Für diese Begegnung stellte er sich so an wie jemand, der statisch auf der Stelle stehe - wie ein "Omed", um seine Gäste nicht zu veranlassen, sich unwohl zu fühlen.

Dies ist die Regel Nummer eins der Gastfreundschaft. Weiterhin sollte man es demjenigen, dem man diesen Chessed (Gefallen) tut, nicht "ins Gesicht reiben"! Lasse es ihm nicht so erscheinen, als würdest du ihm den grössten Gefallen der Welt machen. Man muss es dezent machen, damit der Andere nicht bemerkt, dass man ihm einen Gefallen tut. Wenn dich jemand bittet, ihn mit dem Auto mitzunehmen und du eigentlich in die andere Richtung unterwegs bist, solltest du ihm nicht vorhalten, wie weit es für dich entfernt ist und was für einen grossen Gefallen du ihm damit tust. Sage ihm stattdessen: "Das ist unglaublich! Ich wollte selbst gerade ganz in die Nähe dieser Adresse fahren!"

Der Talmud lehrt, dass einer, der sagt, "diesen Sela [Name einer Münze] spende ich für wohltätige Zwecke - damit mein Sohn am Leben bleibt", ein vollkommener Gerechter ist [Bawa Batra 10b]. Obwohl dies doch eigentlich im maximalen Sinne eigennützig erscheint, spendet er - gemäss dem Talmud - aus dem selbstlosesten und uneigennützigsten aller Gründe! Rabbi Mordechai Bennet kommentiert daher: "Ich würde es verstehen, wenn der Talmud sagte, diese Person habe etwas Nettes getan. Doch wie kann der Talmud sagen, dass jemand, der für solch "eigennützige Zwecke" gespendet hat, ein "Zadik gamur" (vollkommener Gerechter) ist?

Er interpretiert den Fall wie folgt: Jemand kommt zu einem Juden und erzählt ihm seine Leidensgeschichte. Er brauche Geld und habe dieses und jenes Problem. Der Jude sagt zu ihm: "Du bist vom Himmel gesandt. Auch ich habe ein grosses Unglück in meiner Familie. Ich brauche ebenfalls Verdienste. Daher gebe ich dir dieses Geld, sodass mein Sohn am Leben bleiben möge. Du tust mir hiermit nur einen Gefallen! Ich brauche einen Scheliach (Gesandten vom Himmel)!" Dies nimmt dem Bettler sein Unbehagen und sein Minderwertigkeitsgefühl. Es nimmt ihm das Gefühl weg, er sei ein "Nebech" (armer Kerl) und dass die Person, die er um Hilfe bittet, ein grosser Gönner sei. Ganz im Gegenteil! Es ist so, als würde ihm die Person sagen: "Ich selbst bin der 'Nebech' und DU hilfst MIR!" So ein Mensch ist ein "Zadik gamur". Dies ist, was der Talmud meint.

Wir lernen das vom "Meister der Wohltat", Awraham Awinu, der sich Individuen zuwendete, die nichts davon benötigten, aber sie dennoch mit viel Respekt und Demut behandelte - weil dies die Art und Weise ist, wie man Menschen behandeln muss. Er ging sogar so weit, seine eigene Grösse zu verschleiern, damit sie sich - als statische Wesen - ihm gegenüber nicht schämen.

Quellen und Persönlichkeiten:

  • Rabbi Levi Jizchak von Berditschew (1740- 1810), chassidischer Rabbi und Zaddik, Verfasser von Keduschat Levi.
  • Raw Simcha Sissel Broide (1912-2000), Verfasser vom Buch "Sam Derech", Rosch Jeschiwa der Chewroner Jeschiwa, Jerusalem

 

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