Schewat/ Paraschat Beschalach

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Schawuot

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Welche Einheit hat Bestand?

In Paraschat Jitro wird über den Empfang der Torah durch das jüdische Volk berichtet. Dieser Abschnitt ist der Inhalt der Torahvorlesung am ersten Tag Schawuot. Die Torah berichtet: "Im dritten Monat nach dem Auszug der Kinder Israels aus Ägypten, an diesem Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. Sie reisten von Refidim und kamen in der Wüste Sinai an und lagerten in der Wüste; und Israel lagerte dort, gegenüber dem Berg.“ [Schemot 19:1-2].

Raschi bemerkt dazu, dass die Verben "sie kamen" (ba’u), "sie reisten" (wa'jis‘u), "sie kamen an" (wa'jawo‘u), "und sie lagerten" (wa'jachanu) alle im Plural erscheinen. Plötzlich aber, wenn der Passuk schreibt: "Israel lagerte dort" benutzt die Torah ein Verb im Singular (wa'jichan). Raschi kommentiert, dass Israel am Sinai wie "ein Mann mit einem Herz" lagerte (ke'Isch echad, be'Lew echad), ganz im Gegensatz zu den anderen Stationen, wo stets Reklamationen oder Streit zu verzeichnen waren.

Der Midrasch Tanchuma Hajaschan [Jitro 9] drückt es noch deutlicher aus: In Mischlej/Sprüche [3:17] steht bez. der Torah: "Ihre Wege sind liebliche Wege, und alle ihre Pfade sind Friede". "Gross ist der Friede und die Einigkeit, denn in Verbindung mit allen Reisen finden wir 'Sie reisten', 'Sie lagerten' (im Plural – was auf eine Vielfalt an Meinungen und Streit hinweist). Als sie jedoch zum Sinai kamen, lagerten sie in Einigkeit, wie es steht (im Singular) 'Israel lagerte gegenüber dem Berg.' Haschem sagte, 'Da sie Streit verabscheuten und Frieden liebten und wie eine einzige Person lagerten, ist die Zeit für Mich gekommen, ihnen Meine Torah zu geben, deren Wege Friede ist.'

Der Awnej Neser weist darauf hin, dass Raschi in der vorangehenden Parascha (Beschalach) einen sehr ähnlichen Kommentar gemacht hat. Der Passuk schreibt, "Und siehe Ägypten zieht ihnen nach (nosse‘a acharejhem)" [Schemot 14:10]. Auch hier benutzt der Passuk das Verb im Singular. Auch dort schreibt Raschi “mit einem Herzen, wie ein Mann." In anderen Worten, die Ägypter erreichten in ihrer Verfolgung von Israel anscheinend dasselbe Mass an Einigkeit.

Der Awnej Neser stellt jedoch fest, dass zwischen der Raschi in Beschalach und der in Jitro ein grosser Unterschied besteht. In Beschalach, wenn Raschi über die ägyptische Verfolgung des Klal Jisrael spricht, benutzt Raschi den Ausdruck “be'Lew echad ke'Isch echad" (mit einem Herzen, wie ein Mann) und hier in Jitro, wenn über das Lagern am Sinai die Rede ist, so benutzt Raschi den umgekehrten Ausdruck "ke'Isch echad, be'Lew echad" (wie ein Mann, mit einem Herzen). Weshalb ist Raschi mit seiner Erklärung von Einheit nicht konsequent?

Der Awnej Neser gibt eine wunderschöne Antwort. Die Mischna sagt "Jede Liebe, welche von einer (materiellen) Sache abhängig ist, hat keinen Bestand; jede Liebe, welche von (materiellen) Dingen unabhängig ist, dauert fort." [Awot 5:16] Manchmal basiert Liebe auf einem gewissen Grund oder Anlass. Man kann sich in einen Menschen wegen seines Geldes oder seiner Schönheit verlieben, doch wenn der wahre Grund für das Eingehen auf diese Beziehung verschwindet, verschwindet auch die Liebe. Wenn aber die Liebe und die Einheit nicht auf einer bestimmten Sache oder einem materiellen Grund basieren, sondern auf die Person selber, so ist dies eine Liebe von einem ganz anderen Ausmass.

Es gibt verschiedene Gründe für Einheit zwischen Menschen. Manchmal gibt es eine Einheit zwischen Menschen, weil sie die gleichen Ziele haben. Der gemeinsame Zweck verbindet sie. Eigentlich hassen wir einander, doch wenn wir einen gemeinsamen Zweck haben, so ignorieren wir unsere Unterschiede und verbinden uns, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. In Englisch gibt es ein Sprichwort "politics makes strange bedfellows" - Politik bildet merkwürdige Gespanne.

Im Grunde genommen haben diese Gruppen ganz verschiedene Lebensanschauungen, doch in dieser einen Sache können sie eine Einheit bilden und avisieren einen gemeinsamen Zweck. Um ein Beispiel zu geben: Wir stimmen nicht in vielen Dingen mit der katholischen Kirche überein, doch wenn es zur Frage von staatlicher Finanzierung für Gemeindeschulen kommt, so teilen wir dieselben Vorstellungen. In dieser Sache sind wir auf derselben Seite und können gemeinsam arbeiten.

Eine solche Koalition stellten die Ägypter zusammen. Sie alle hatten ein Ziel – die geflüchteten Jehudim, ihre früheren Sklaven, wieder einzufangen. Dies wird im Ausdruck "be'Lew echad" (mit einem Herzen) angedeutet. Sie hatten ein gemeinsames Ziel, welches eine Einheit kreierte, die sie zu "ke‘Isch echad" (wie ein Mann) machte. Eine solche Einheit ist eine sehr unsichere Sache.

Dies steht im Gegensatz zu Israels Lager gegenüber dem Berg, welches Raschi so wunderschön als "ke'Isch echad, be'Lew echad" beschreibt. Dort wurde die Einheit durch die Gemeinsamkeit der Menschen geschaffen. Jeder fühlte sich als Bruder des andern. Dies war eine echte Einigkeit, nicht bloss eine oberflächliche Einheit, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Und diese Gleichheit von "ke'Isch echad" führte natürlich zu einer Gleichheit von Zweck – "be'Lew echad".

Ich würde gerne noch den folgenden wunderschönen Gedanken mit Ihnen teilen, welchen ich vor Kurzem gehört habe. Sehen wir uns einmal die fünf Bittgebete an, welche am Montag und Donnerstag nach dem Torah-Lesen gesagt werden. Die ersten vier Abschnitte beginnen alle mit den Worten "Jehi Razon m'lifnej Awinu schebaSchamajim..." „Möge es der Wille vor unserem Vater im Himmel sein..." Wir beten, dass es Sein Wille sein soll, das Bejt HaMikdasch wieder aufzubauen; es soll Sein Wille sein mit uns Mitleid zu haben; es soll Sein Wille sein, die Gelehrten in Israel und ihre Familien zu erhalten; und es soll Sein Wille sein, dass wir gute Nachrichten hören sollen und so weiter. Plötzlich wird diese poetische Symmetrie im fünften Abschnitt unterbrochen, welcher nicht mit den Worten "Jehi Razon", sondern mit "Achejnu kol Bejt Jisrael" (Unsere Brüder, das ganze Haus von Israel) beginnt. Was bedeutet diese Änderung?

Rabbi Chajim von Zanz lehrt eine fantastische Lektion. Im fünften Abschnitt sind die Worte "Jehi Razon" überflüssig geworden. Rabbi Chajim Zanzer erklärt, wenn wir schon so weit sind, dass wir sagen können "Unsere Brüder, das ganze Haus von Israel" mit einer Liebe und einer Einheit, dass wir jeden anderen Jehudi als Bruder betrachten, so gibt es keine grössere Erfüllung von "Möge es der Wille vor unserem Vater im Himmel sein" als dies. Die Worte "Jehi Razon" werden überflüssig. Gross ist Frieden, wenn Israel als ein Mann gegenüber dem Berg Sinai lagert. Dies ist die ultimative Erfüllung des Willens des Allmächtigen.

Quellen und Persönlichkeiten:

  • 1. Midrasch Tanchuma Hajaschan (Ausgabe Schlomo Buber): Sammlung von Erklärungen und Aggadot zum Chumasch. Wird nach dem Amora (Talmudgelehrten) Rabbi Tanchuma Bar Abbabenannt, da er am häufigsten in diesem Midrasch zitiert wird. Er war ein jüdischer Amora der 6. Generation, einer der bedeutendsten Aggadisten seiner Zeit.
  • 2. Rabbi Chaim Halberstam von Zanz (1793 -1876), Chassidischer  Rebbe, Verfasser der Werke „Diwrej Chajim“, Responsen und Erklärungen zur Torah.
  • 3. Rabbi Awraham Borenstein (1838 - 1910), Sochatschover Rebbe, Verfasser von Avnej Neser, Responsen, und Eglej Tal zu den 39 Melachot von Schabbat. 

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Die Bearbeitung des Beitrages dieser Woche erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich

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