Aharon und der Frieden (Rav Frand, Chukat 5782 - Beitrag 2)

Rav Frand zu Paraschat Chukat 5782 – Beitrag 2
Ergänzungen: S. Weinmann
Aharon und der Frieden
Paraschat Chukat enthält die Schilderung des Todes sowohl von Aharon, dem Kohen Gadol (Hohepriester), als auch von Mirjam Hanewia (der Prophetin). Der Passuk erklärt, dass Aharon bei seinem Tod vom ganzen Klall Jisrael, während dreissig Tagen beweint wurde [Bamidbar 20:29]. Wenn wir in Paraschat WeSot Haberacha nachschauen, wo der Tod von Mosche Rabbejnu geschildert wird [Dewarim 34:8], sagt die Tora auch, dass das jüdische Volk ihn 30 Tage lang beweinte, aber der Ausdruck "kol Bejt Jisrael" (das gesamte Haus Israels) wird dort nicht verwendet. Bei Mosche sagt der Passuk lediglich, dass die "Benej Jisrael" (die Kinder Israels) ihn beweinten. Raschi erklärt hier, wie auch dort, dass bei Mosche nur die Männer weinten, jedoch nicht auch die Frauen, wie es bei Aharon der Fall war.
Dies beschäftigt den Maharal in seinem Werk Gur Arje. Der Maharal behauptet, dass es unvorstellbar sei, dass das gesamte Haus Israels sich Mosche Rabbejnu nicht nahe gefühlt habe. Er war während 40 Jahren ihr Führer. Er führte sie aus Ägypten hinaus und kümmerte sich in der Wildnis um all ihre Bedürfnisse. Er flehte den Allmächtigen - in allen nur bedenklichen Situationen - für sie an. Er lehrte sie die Tora. Er kümmerte sich um die Bedürfnisse von Männern, Frauen und Kindern – die gesamte Nation Israels! Der Maharal ist nicht bereit, den Gedanken zu akzeptieren, dass die Frauen beim Tod vom Führer der Nation nicht weinten.
Deshalb kommt der Maharal zum Schluss, dass die Frauen bei Mosches Tod sicherlich weinten. Es war jedoch ein anderes Niveau des Weinens als beim Tod von Aharon. Dies war so, weil das, was Mosche für Klall Jisrael tat, sowohl für Männer als auch Frauen wertvoll war und es keinen Unterschied darin gab, wie er sich mit den Männern und den Frauen befasste. Er war der Führer. Er sorgte dafür, dass jeder sich in Sicherheit befand, jeder zu essen hatte und überhaupt alles hatte, was er benötigte, und jeder die Gesetze der Tora kannte. Mosche Rabbejnu bot diese Dienstleistung Männern wie auch Frauen an.
Das Weinen, das nach Mosche Rabbejnus Tod stattfand, war deshalb nicht unterscheidbar – es gab keinen Unterschied zwischen dem Weinen der Männer und demjenigen der Frauen. Es war ein Weinen. Aharon jedoch – so schreibt der Maharal – behandelte den Mann und die Frau, bei einem Disput zwischen ihnen, anders. Wenn man versucht, zwischen zwei Menschen Frieden zu stiften, die aufeinander aufgebracht sind, ist es wichtig, jeden gemäss seinem psychologischen Zustand zu behandeln.
Wenn ein Mann und seine Frau sich leider an die Kehle gehen, ist es nötig, mit den Männern auf eine Weise und mit den Frauen auf eine andere Weise zu sprechen. Aharons Interaktion mit den Mitgliedern der jüdischen Nation war, anders als bei seinem Bruder, nicht uniform. Er nahm es als seine Aufgabe an, in Klall Jisrael ein Friedensstifter zu sein. Um diese Mission zu erfüllen, war es nötig, die Streitparteien auf zwei Wege anzusprechen. Wenn ein Mann sich über seine Frau beklagt und sagt, dass sie dieses oder jenes nicht tue, muss man dem Mann sagen: "Höre jedoch zu, sie hat dir Kinder geboren, sie kümmert sich um sie, und nehme doch ihre anderen guten Züge in Betracht, etc." Wenn eine Frau sich über ihren Mann beklagt und sagt, dass er ein Schlamper ist, nie seine Sachen aufräumt, seine Socken auf dem Boden liegen lässt, zu wenig hilft usw., reagierte Aharon anders. Er sagte zu ihr: "Höre jedoch, er kümmert sich um euch, er ist ein Talmid Chacham etc."
Die Ausdrucksweise und der Zugang waren unterschiedlich, massgeschneidert für jede Partei (je nachdem, was für sie angemessen war und was wirksam die eheliche Harmonie wiederherstellen würde).
Dies ist Raschis Meinung, sagt der Maharal. Es war eine andere Art von Weinen beim Begräbnis der zwei Brüder. In Aharons Fall bedeutete er für die Frauen und Männer etwas anderes. Die Awejlut (Trauer) war nicht in der ganzen Nation identisch, sondern individuell abgestimmt – Männer erinnerten sich an ihn auf eine Weise, und Frauen erinnerten sich an ihn auf eine andere Weise. Bei Mosche Rabbejnu jedoch war sein Dienst für sein Volk uniform, und das Awejlut, das die Menschen empfanden, als er starb, war auch uniform.
Mit der oben erwähnten Einsicht können wir eventuell eine weitere Schwierigkeit in einem früheren Abschnitt in der Parascha verstehen. Dort heisst es, dass Mirjam starb. Sofort nach ihrem Tod sagt die Tora: "Die Gemeinde hatte kein Wasser, da versammelten sie sich gegen Mosche und Aharon. Das Volk haderte mit Mosche und sie sprachen: "O, wären wir doch auch umgekommen, als unsere Brüder vor dem Ewigen umkamen!" [Bamidbar 20:2-3]
Unsere Weisen sagen, dass Haschem die wundersame Quelle, die die Juden während ihrem ganzen Aufenthalt in der Wüste begleitete, im Verdienst von Mirjam bereitstellte. Als Miriam jedoch starb, verschwand diese Quelle und das Volk hatte kein Wasser mehr.
Wenn wir diese Pessukim (Verse) vorsichtig lesen, können wir etwas Interessantes beobachten. Die Leute "versammelten sich gegen Mosche und Aharon", als sie sich jedoch auseinandersetzten, richteten sie ihre Klage nur "gegen Mosche". Was geschah mit Aharon? Warum beklagten sie sich nur bei Mosche, nachdem sie sich gegen beide Brüder versammelt hatten?
Ich fand diese Frage in einem Sefer namens Ba’alej Brit Awraham (von Rabbi Awraham Asulai). Er antwortet darauf wie folgt: Mosche und Aharon sassen „Schiw’a“ und trauerten um ihre gestorbene Schwester Mirjam, als sich die Menschen „gegen Mosche und Aharon versammelten“. Ihre ursprüngliche Absicht bestand darin, sich sowohl bei Mosche als auch bei Aharon zu beschweren. Aber sobald sie sich in Aharons Gegenwart befanden, war es ihnen peinlich, sich bei Aharon zu beschweren, weil er immer der war, der den Frieden liebte und dem Frieden hinterherlief. Sie brachten es nicht übers Herz, mit ihm zu streiten, weil er so eine beliebte Figur in der Nation war. Also richten sie ihre Beschwerden nur an Mosche.
Quellen und Persönlichkeiten:
1. Rabbi Jehuda Liwo (Leib) ben Bezel’el (1512-1609), genannt Rabbi Löw oder mit dem Akronym Maharal (Abkürzung für Morejnu haRav Löw). Posen (Polen), Nikolsburg und Prag (Tschechien). Er war ein bekannter Rabbiner, Talmudist, Darschan (Prediger) und Philosoph des 16. Jahrhunderts. Ihm wird auch die Erschaffung des Golems zugeschrieben. Er verfasste unzählige - hauptsächlich philosophische – Werke, u.a. das Sefer Gur Arje, Erklärung zu Raschis Kommentar zum Chumasch. Seine Werke dienen bis heute als Basis der jüdischen Weltanschauung.
2. Rabbi Awraham ben Mordechai Asulai (1570–1643); Fes (Marocco), Chewron (Hebron) und Jerusalem (Israel). War ein grosser Kabbalist, Schüler des Rabbi Chajim Vital (Schüler des Arisal) und dessen Sohn Rabbi Schmuel. Verfasser von vielen Werken, wie Chessed leAwraham, Ba’alej Brit Awraham, etc. Die meisten Werke sind der Kabbala gewidmet. Urgrossvater des berühmten "CHIDA".
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Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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