Aharon zögerte, Geld für das Ganzopfer auszugeben - warum? (Rav Frand, Zav 5783)

Raw Frand zu Paraschat Zaw 5783
Aharon zögerte, Geld für das Ganzopfer auszugeben - warum?
Der Wochenabschnitt beginnt mit der Anleitung: "Befehle Aharon [Zaw et Aharon] und seinen Söhnen mit diesen Worten: Dies ist die Lehre des Ganzopfers [Korban Olah]; es ist das Ganzopfer (Aufstiegsopfer, Brandopfer), das auf der Brandstätte, auf dem Misbeach (Altar) - die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen - sein soll (verbrannt werden soll), auch das Feuer des Altars soll auf ihm brennen." [Wajikra 6:2]. Das Ganzopfer war ein Opfer, das gänzlich verbrannt wurde. Bei den meisten Opfern isst jemand davon. Zum Beispiel beim Friedensopfer [Korban Schelamim] wird der Grossteil von der Person gegessen, die das Opfer darbringt; beim Sündopfer [Korban Chatat] und Schuldopfer [Korban Ascham] wird das Fleisch von den Priestern [Kohanim] gegessen. Aber das Ganzopfer wird gänzlich vom Feuer des Altars konsumiert.
Raschi sagt, die Bedeutung des Wortes "Befehl" [Zaw] ist "Ansporn" [Laschon Sirus]. Warum war es notwendig, Aharon bei dieser Mizwa anzuspornen? Sicherlich benötigte er keine besondere Lektion in Sachen Motivation. Rabbi Schimon (bar Jochai) stellt fest, dass es für die Tora dann notwendig ist, einen Befehl hervorzuheben, wenn ein finanzieller Verlust damit verbunden ist [Kidduschin 29a]. Menschen mögen es nicht, Geld zu verschwenden oder zu verlieren. Wenn eine Mizwa mit Kosten verbunden ist und keine unmittelbare "Gegenleistung" ersichtlich ist, erachtet es die Tora als notwendig, dieser Mizwa einen "Sirus" vorausgehen zu lassen, um eine grössere Motivation zu schaffen und Verzögerungen abzubauen.
Menschen tun sich damit schwer, ein Tier zu nehmen, das sie beispielsweise tausend Dollar gekostet hat - und es in Rauch aufgehen zu lassen, ohne einen physischen Ertrag dafür zu bekommen. Deshalb sagt die Tora beim Ganzopfer: "Befehle Aharon" [Zaw et Aharon] und ermutige ihn damit bzw. erteile ihm eine Anweisung - einen Befehl [Zaw], da ein finanzieller Verlust damit verbunden ist.
Warum ist das so? Ich sah eine interessante Beobachtung von Raw Mosche Schmuel Schapiro. Die Welt sagt "Time is Money - Zeit ist Geld", doch es sollte eigentlich umgekehrt heissen: "Money is Time - Geld ist Zeit". Denn um Geld zu verdienen, muss ein Mensch Zeit aufwenden - und Zeit ist das wertvollste Gut der Welt. Sehr vieles kann man ersetzen, aber (verlorene) Zeit kann niemals ersetzt werden.
Unsere Weisen [Traktat Chulin 91a] sagen uns etwas Seltsames: "Den rechtschaffenen Menschen [Zaddikim] ist ihr Geld wertvoller als ihr Körper." Dies ist der Intuition widersprechend. Man könnte meinen: Zaddikim? Ihnen ist ihr Geld egal. Der Grund, weshalb den rechtschaffenen Menschen ihr Geld wertvoller ist als ihr Körper, besteht darin, dass sie sich bewusst sind, dass sie für den Erwerb des Geldes Zeit aufwenden müssen. Deswegen ist ihnen ihr Geld wertvoll, weil "meine Zeit investiert wurde, um dies zu erlangen". Aus diesem Grund ergibt es sich, dass an einem Ort, wo finanzieller Verlust entsteht, sogar bei Menschen auf der höchsten, spirituellen Stufe (wie Aharon, der Hohepriester) eine Ermutigung stattzufinden hat, trotz ״finanziellem Verlust" die geforderte Aufgabe zu tätigen.
Raw Mosche Schmuel Schapiro war ein Schüler von Raw Jizchak Zeev Soloveitschik (dem "Brisker Raw") und war selbst ein Rosch Jeschiwa [Leiter einer Talmudschule] in Israel. Er schreibt dazu folgendes:
Es ist bekannt, dass die Menschen in Amerika mit Wohlstand gesegnet wurden und es besteht kein Zweifel, dass G-tt sie auf diese Art dafür belohnt hat, dass sie Grosszügigkeit walten lassen und sich (viel) mit Wohltätigkeit beschäftigen. Doch ich glaube, es gibt hier noch einen anderen Faktor. Ich habe eine weitere bedeutende Eigenschaft bemerkt, die sicherlich ebenfalls die Verleihung von Reichtum über sie rechtfertigt: Sie sind geschäftstüchtig ["serisim be'Iskejhem"]. Von dem Zeitpunkt an, wo sie ihre Arbeit aufnehmen bis zu dem Zeitpunkt, wo sie ihre Arbeit abschliessen, lassen sie sich von nichts stören. Dies unterscheidet sie von den Arbeitern in unserem Land, die jede halbe Stunde eine Kaffeepause einlegen. Amerikaner schätzen ihre Zeit und sind durch diesen Verdienst zu Wohlstand gelangt.
Raw Mosche Schmuel Schapiro erwähnt daraufhin den folgenden, hochinteressanten Vorfall: Der Ponivescher Raw und Raw Elchanan Wasserman lernten zusammen als Studienpartner [be'chawruta] im Kollel [Talmudschule für verheiratete Männer] in Radin. Sie wollten etwas in einem gewissen Buch nachschlagen, das vom Chafez Chajim in seinem "Scha'ar HaZijun"- Fussnoten zum Mischna Berura, zitiert wurde. Das Buch war im Lehrhaus [Bejt haMidrasch] nicht erhältlich, also gingen sie zum Haus des Chafez Chajim, klopften an seiner Tür und fragten: "Können wir das Buch sehen, das Sie im 'Scha'ar HaZijun' zitieren?"
Der Chafez Chajim sagte ihnen, er habe das Buch nicht. Sie waren überrascht, denn es war eine Tatsache, dass er dieses Buch in seinem Kommentar zitiert hatte. Er sagte ihnen, wenn er etwas in einem Buch nachschlagen müsse, würde er es von jemandem borgen und es anschliessend zurückgeben. Der Chafez Chajim fügte hinzu: "Ich wollte das Buch nicht kaufen, weil ich nur Bücher kaufe, die ich wirklich brauche (dauernd benütze)! Wenn ich ein Buch nicht brauche, kaufe ich es nicht."
An diesem Punkt wandte sich der Chafez Chajim zu seinem Bücherregal und seufzte. Sie dachten, der Seufzer sei damit zu erklären, dass er so wenige Bücher in seiner persönlichen Bibliothek hatte. Doch er korrigierte sie: "Nein, was mich plagt ist, dass ich vielleicht ein Buch für meine Sammlung gekauft habe, dass ich nicht hinreichend benutze und es daher gar nicht hätte kaufen sollen. - Ich habe mein Geld für etwas ausgegeben, das ich nicht wirklich brauche."
Dies ist eine sehr interessante Geschichte und sie widerspricht der konventionellen Weisheit. Allgemein wird angenommen, dass wissenshungrige Menschen gerne grosse Bibliotheken haben. Die Meinung des Chafez Chajim war, dass wenn man etwas nicht unbedingt braucht, man es auch nicht kaufen sollte, weil Geld ihm sehr wertvoll war - weil Zeit ihm sehr wertvoll war. Dies entspricht der Idee, dass an einem Ort, wo finanzieller Schaden involviert ist, eine Ermutigung und ein "Zaw" notwendig ist.
Quellen und Persönlichkeiten:
- Raschi, Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105); Troyes (Frankreich) und Worms (Deutschland); „Vater aller TENACH- und Talmudkommentare“.
- Chafez Chajim: (1838 - 1933): Rabbi Jisrael Me’ir HaKohen von Radin. Autor grundlegender Werke zu jüdischem Recht und jüdischen Werten (Halachah, Haschkafah und Mussar), wie Mischna Berura, Chafez Chajim, etc. Einer der prominentesten Führer des orthodoxen Judentumsvor dem 2. Weltkrieg.
- Rav Elchanan Wassermann (1875 – 1941): Rosch Jeschiwa in Brisk und Baranowitsch (Polen, heute Weissrussland). Schüler des Chafez Chajim. Er wurde im 2. Weltkrieg von den Nazis ermordet.
- Brisker Rav (1887 – 1959): Rav Jizchak Ze’ev (Welwel) Soloweitschik. Gelehrter und Rosch Jeschiwa, Nachfolger seines Vaters, Rav Chaijim Soloweitschik (1853-1918) in Brisk (Brest-Litovsk); floh im 2. Weltkrieg nach Israel.
- Rav Mosche Schmuel ben Arje Schapiro (1917–2006); Minsk (Weissrussland), Białystok(Polen) Baranowitsch (Polen, heute Weissrussland). Ab 1937 in Petach Tikva, Bene Berak und Jeruschalajim (Israel); schlussendlich Rosch Jeschiwa in Be'er Ja‘akov. Er war eine wichtige rabbinische Figur in Israel. Verfasser von vielen Werken zum Talmud, zum Chumasch, zur Haschkafa (jüd. Weltanschauung), etc.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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