Weshalb erklärt man das Naheliegende? - Raw Frand zu Paraschat Wajakhel 5780

Weshalb erklärt man das Naheliegende?
Die Parascha beginnt: "Und Mosche versammelte die ganze Gemeinde der Kinder Israels und sagte zu ihnen..." [Schemot 35:1]. Gut zwanzig Pessukim (Verse) später schliesst dieser Abschnitt mit den Worten: "Die ganze Gemeinde Israels verliess Mosches Umgebung." [Schemot 35:20] Mosche sagte, was er zu sagen hatte, und sie gingen.
Wäre dies eine talmudische Textstelle, so würde die Gemara sie analysieren und fragen, "Dies ist ja nahe liegend – was sagt uns die Torah hier?" Nachdem steht, dass Mosche alle zusammenrief, um ihnen eine Botschaft zu übermitteln, muss eigentlich nicht erwähnt werden, dass sie danach wieder weg gingen. Weshalb muss die Torah – die doch nie ein Wort verschwendet – diesen Passuk am Ende der Erzählung schreiben?
Raw Elja Lopian sagt, dieser Passuk lehrt uns, dass es, als die Jehudim von Mosche Rabbenu weggingen, klar ersichtlich war, dass sie in der Umgebung von Mosche Rabbenu gewesen waren. Man kann keine Zeit zusammen mit einem grossen jüdischen Führer verbringen, ohne dass dies einen unauslöschlichen Eindruck hinterlässt. Dies ganz besonders unmittelbar nach der Begegnung, oft bleibt der Eindruck auch ein Leben lang bestehen.
Der Passuk "die ganze Gemeinde Israels verliess Mosches Umgebung" lehrt uns, dass der Eindruck auf “ihre Gesichter geschrieben war” und sie veränderte Menschen waren, weil sie eine gewisse Zeit mit Mosche Rabbenu verbracht hatten. Raw Elja erklärt, wenn wir jemanden betrunken herumtorkeln sehen und uns fragen, wo er war, dann ist die Antwort klar: Er war in einer Bar, und hat sich betrunken.
So auch, wenn wir jemanden sehen, der in Mosche Rabbenus Gegenwart war, ist es offensichtlich, wo der Mensch war. Er war in der Gegenwart von Heiligkeit. So gross ist der Einfluss von jeder Umgebung. Wenn man in einer heiligen Umgebung ist, wenn man in der Gegenwart einer heiligen Versammlung ist, wenn man mit geistig grossen Menschen zusammen ist, dann hinterlässt dies einen Eindruck und es bewirkt einen Unterschied. Und im umgekehrten Fall geschieht das gleiche im negativen Sinn.
Der Ponevischer Raw sz’l sagte einmal eine grossartige Erklärung zu einem Midrasch Rabba in Paraschat Toldot [65:18]:
Josef Meschissa war ein verabscheuungswerter Jehudi. Er war ein Verräter seiner Nation. Als die Römer das Bejt Hamikdasch (den heiligen Tempel) zerstören wollten, hatten die Invasoren zu grosse Angst, um in das Heiligtum einzudringen. Sie sagten, wir benötigen einen Juden, der zuerst hineingeht und sich als erster an den Geräten des Tempels vergreift (um zu sehen, ob nichts passiere). Wen wählten sie? Sie wählten diesen zwielichtigen Josef Meschissa. Sie sagten, er solle in den Tempel gehen und als Belohnung dürfe er für sich nehmen, was er wolle. Er ging hinein und nahm die goldene Menora (Leuchter). Als die Römer sahen, was er genommen hatte, sagten sie, dies sei ein zu grosser Preis für einen einfachen Menschen. Sie sagten, er solle nochmals hineingehen und etwas anders nehmen, das mehr angebracht sei. Dieses Mal dürfe er es dann behalten.
Er weigerte sich jedoch, nochmals hineinzugehen. Sie boten ihm einen Bonus an. Ginge er nochmals hinein, so würden sie ihm die Steuern der nächsten drei Jahre von ganz Judäa geben. aber er blieb fest. „Ich kann nicht noch einmal hineingehen. Ist es nicht genug, dass ich meinen G’tt einmal erzürnt und seinen Tempel beschmutzt habe? Soll ich das nochmals tun? Ich kann es nicht.“
Die Römer folterten ihn, indem sie ihn zu Tode zersägten. Er aber schrie unter der Folter, solange seine Seele noch in ihm war: „Weh mir, weh mir, dass ich meinen Schöpfer erzürnt habe.“
Der Poniwescher Rav fragt: „Was ist hier geschehen? Was trieb Josef Meschissa zur Teschuwa (Rückkehr)? Er war ein Verräter, den die Römer auserwählt hatten, als den Jehudi, der den Tempel entweihen würde. Er war augenscheinlich ein Jude mit absolut keinem Gefühl für jüdische Werte und dann änderte er sich und war bereit als Märtyrer zu sterben, trotz dem Versprechen von Reichtum und der grausamen Folter. Welches Ereignis verwandelte ihn von einem Bösewicht in einen Gerechten?“
Der Poniwescher Rav antwortet, dass das blosse Betreten eines heiligen Ortes Josef Meschissa ihn derart veränderte. Er kam für zwei Minuten lang mit Heiligkeit in Berührung. Er betrat das Bejt Hamikdasch aus den niedrigsten Gründen und mit den schlimmsten Absichten – und er verliess es als ein neuer Mensch. Es gibt etwas Reales im Zusammenhang mit Heiligkeit und Reinheit. Sogar ein kurzer Kontakt mit der Schechina (G’ttes Anwesenheit) kann einen Menschen für den Rest seines Lebens verwandeln.
Das ist, was Josef Meschisa widerfuhr: Er kam mit etwas Heiligem in Berührung.
Wenn ein Mensch Radioaktivität ausgesetzt ist, dann riecht er dies nicht; er fühlt es nicht; und doch können zwei Minuten Strahlung seinen ganzen Körper verändern. Und ähnlich kann man zwei Minuten Keduscha (Heiligkeit) ausgesetzt sein und ein anderer Mensch werden.
Dies lehrt uns dieser Passuk. Die Gemeinde verliess die Gegenwart von Mosche... doch sie waren nicht mehr die gleichen. Sie waren nicht mehr die gleichen Jehudim, da sie in der Gegenwart eines grossen Mannes gewesen waren. In der Gegenwart eines heiligen Mannes zu sein, oder sogar in der Gegenwart eines heiligen Ortes – eines Bejt haMidrasch, eines Bejt haKnesset (Lehrhaus; Bethaus), oder in Erez Jisrael zu sein, kann das Leben eines Menschen verändern.
Deshalb ist die Umgebung, sind unsere Freunde und ist unsere Gemeinde so wichtig. So gross ist die Macht von Heiligkeit. Sie kann einen Menschen für immer verändern.
Quellen und Persönlichkeiten:
Rav Elijahu Lopian (1876-1976), Maschgiach (geistiger Leiter) von Jeschiwot in Chelm (Litauen), London und Kefar Chassidim (Israel).
Raw Josef Kahaneman [Poniwescher Raw] (1886 – 1969), Litauen; Bnej Berak, Israel. Einer der grössten Errichter der Thora-Welt nach der Scho’a.
Die Bearbeitung dieses Beitrages erfolgte durch Mitarbeiter des Jüfo-Zentrums in Zürich
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