Die Kraft des Alleinseins - (Rav Frand Wajischlach 5780 – Beitrag 1)

Die Kraft des Alleinseins

Die Parascha dieser Woche enthält den Passuk: „Ja’akow aber blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm bis der Morgen anbrach.“ [Bereschit 32:25] Der Midrasch stellt einen Zusammenhang fest zwischen dem Alleinsein von Ja’akow und dem „Alleinsein“ des Allmächtigen. Noch erstaunlicher: Der Midrasch meint, dass Ja’akow auf eine Stufe gelangte, die ihn ähnlich zum Ribono schel Olam (Herr der Welt) werden liess.

„Und du sollst in Seinen Wegen gehen“ [Dewarim 28:9] ist eine der grundlegendsten Mizwot (Gebote) der Torah. G’ttes Wege nachzuahmen, indem man barmherzig ist (so wie Er barmherzig ist), indem man mitfühlend handelt (so wie Er mitfühlend handelt) und so weiter, ist eine grundlegende religiöse Verpflichtung und eine der wichtigsten Grundlagen unserer Pflichten gegenüber unseren Mitmenschen.

Der Midrasch sagt, dass Ja’akow bei dieser Gegebenheit eine bedeutsame geistige Bereicherung erfuhr, weil er eines der g’ttlichen Attribute nachahmte. Der Vers sagt über den Allmächtigen: „Und Haschem ALLEINE wird an diesem Tag erhaben sein“ [Jeschajahu 2:17] und in Wajischlach sagt der Passuk: „Und Ja’akow blieb ALLEIN zurück.“ In diesem Moment ahmte Ja’akow die g’ttliche Eigenschaft des Alleinseins nach.

Die Stossrichtung des Passuks „und Haschem ALLEINE wird erhaben sein“ drückt aus, dass Haschem die Existenz von irgendetwas oder irgendjemand anderem nicht benötigt. Er kann alleine und unabhängig existieren. Auch Ja’akow zeigte diese Fähigkeit, alleine zu existieren und nur auf sich selbst gestellt zu überleben.

Rav Jerucham Lebovitz sagt, dass dies eine Stufe sei, die jedermann anstreben sollte. Ein Mensch sollte Vollkommenheit („Schlejmut“) ohne die Hilfe von anderen erreichen können.

Rav Jerucham rät uns nicht, Einsiedler zu werden. Vielmehr gibt uns Rav Jerucham einen Hinweis auf die Bedeutung der folgenden bekannten Mischna: „Ben Soma sagt: „Wer ist weise? Derjenige, der von jedermann lernt. Wer ist stark? Derjenige, der seinen bösen Trieb beherrscht. Wer ist reich?

Derjenige, der sich mit seinem Anteil freut.“ [Awot 4:1]

Was haben diese drei Dinge gemeinsam? Sie haben gemeinsam, dass man alle diese Ziele ohne die Hilfe anderer erreichen kann.

Die Mischna sagt nicht, dass man einen guten Lehrer benötigt, um weise zu werden. Dann wäre der Erwerb von Weisheit von jemand anderem abhängig. Die Mischna nimmt das Argument vorweg: „Ich kann nicht weise werden, weil ich über keinen guten Lehrer verfüge.“ Die Mischna widerspricht: „Nein. Man kann selbständig Weisheit erwerben – vorausgesetzt man ist fähig von jedem Menschen zu lernen.“

Das gleiche gilt für Stärke. Stärke misst man nicht, indem man den Vergleich mit einem anderen Menschen anstellt („Ich bin stärker als er.“). Man kann, unabhängig von allen anderen auf der Welt, stark sein – vorausgesetzt, man ist Herr über seine Leidenschaften. Stärke hängt nicht von Vergleichsgrössen ab. Stärke misst man „ben Adam le’azmo“ („zwischen dem Menschen und sich selbst“).

Das gleiche gilt für Reichtum. Es hat nichts damit zu tun, ob man mehr Geld besitzt als der Nachbar. Wenn das der Fall wäre, könnte ich mich nie als reich bezeichnen, denn es gibt immer jemanden, der vermögender ist als ich. Wahrer Reichtum hängt nur von mir selbst („lewado“) ab, allein und eigenständig. Ich habe die Möglichkeit, der reichste Mensch der Welt zu sein, wenn ich mit meinem Teil zufrieden bin.

Schlussendlich kann sogar Ehre, entgegen unserer vorgefassten Meinung - wie Ben Soma weiter lehrt - eigenständig erworben werden. Ehre ist nicht davon abhängig, ob ich Schlischi, Schischi oder Maftir in der Schul (Synagoge) erhalte. Ehre ist abhängig davon, ob ich andere Menschen ehre.

Rav Jerucham weist auf Folgendes hin: Die Mischna betont, dass ein Mensch in seinem Streben nach Vollkommenheit fähig sein muss, in einem Vakuum zu arbeiten, als einer, der „lewado“ ist (einer, der alleine ist). Weisheit, Reichtum, Stärke und Ehre brauchen keinen Aussenstehenden, um gemessen oder erworben zu werden. Man erwirbt sie mithilfe der Fähigkeit, „allein“ zu sein.

 

 

Quellen und Persönlichkeiten:

 

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