Raw Frand zu Parschat Toldot 5772

Nur im Schatten des Todes denkt der Mensch über sein Leben nach

In der Parscha dieser Woche vernehmen wir die berühmte Geschichte über den Verkauf des Erstgeburtsrechts. Ein heisshungriger Ejsaw sieht, wie sein Bruder Ja’akow eine Linsengericht zubereitet. Ja’akow schlägt einen Handel vor: Speise gegen das Erstgeburtsrecht in der Familie. Ejsaw willigt ein und Ja’akow erwirbt die Bechora (die Rechte des erstgeborenen Sohnes).

Unsere Weisen erzählen, dass Ja’akow ein Linsengericht kochte, weil der Stammvater Awraham an diesem Tag gestorben war. Jizchak erfüllte die Trauergebote für seinen Vater und dabei war es Sitte, dass man den Trauernden ein Linsengericht vorsetzte. Darum war Ja’akow gerade dabei, diese Speise zuzubereiten.

Ist es ist nicht seltsam und ziemlich unpassend, dass sich gerade in diesem Moment der Geschichte die Frage des Erstgeburtsrechts stellte? Hätte Ja’akow sich nicht einen besseren Moment für Verhandlungen mit Ejsaw aussuchen können, um sich dieses Recht zu erwerben?

Man stelle sich vor: Es ist ein Trauerhaus. Der Grossvater Awraham ist soeben verstorben. Jizchak sitzt Schiw’a. Ja’akow bereitet eine Mahlzeit für den Trauernden. Esaw tritt ein. Woran denkt Ja’akow in diesem Augenblick? „Verkaufe mir dein Erstgeburtsrecht.“ Wieso brachte Ja’akow ausgerechnet jetzt die Angelegenheit der Bechora aufs Tapet?

Der Bejt Aw bringt folgende Erklärung: Unsere Weisen lehren, dass wir einem Trauernden Linsen wegen ihrer Form vorsetzen. Linsen sind rund. Das Leben ist wie ein Rad, das sich fortwährend um die Welt dreht. Die runden Linsen symbolisieren die kreisförmige Natur des Zyklusses von Geburt und Tod, wie es der Weg alles Sterblichen ist. Trauer ist unausweichlich; jeder wird früher oder später damit konfrontiert. Es bleibt einzig zu hoffen, dass ein Kind für einen Vater oder für eine Mutter nach einem erfüllten Leben trauern muss.

Oft beginnt man erst angesichts von Trauer und Tod über das Leben nachzudenken. Dann befassen sich Menschen mit der Unausweichlichkeit des Todes. Dann denkt man über die eigene Vergänglichkeit nach. Oft denken Menschen erst im Schatten des Todes über das Leben nach.

Dieses Ereignis zeigt uns, wie ein Gerechter das Leben betrachtet und auch, wie der Bösewicht eine diametral entgegengesetzte Sicht des Lebens hat. Ja’akow betrachtete das Leben mit: „Was sind meine Aufgaben? Was sind meine Verpflichtungen?“ Der Status des Bechor bedeutete mehr als nur das Anrecht auf die doppelte Erbschaft. Wer wird der geistige Erbe in dieser Welt? Wer wird den Dienst an G’tt in dieser Welt erfüllen? Ja’akow dachte über den Tod und damit auch über das Leben nach. Dies brachte ihn dazu, die geistige Verantwortung, die mit der Führung der Familie verbunden war, zu beantragen.

Denkt andererseits ein schlechter Mensch über das Leben nach, kommt er zu folgendem Schluss: „Iss, trink und sei heiter, denn morgen bist du vielleicht schon tot. Ja. Der Tod ist unausweichlich. Was muss ich demzufolge tun? Das Leben geniessen, solange ich noch kann! Jetzt geniessen, bevor es zu spät ist.“ Was dachte Ejsaw über den Tod seines Grossvaters und die Schiw’a seines Vaters? „Ich will nicht die Verantwortung des Erstgeborenen. Ich will mein Leben nicht mit dem Dienst für G’tt „vertun“. Ich will das Leben geniessen und zwar jetzt. Ich will frei sein von den Pflichten des Erstgeborenen.“

Deshalb geschah dieser Verkauf genau zu diesem Zeitpunkt. In diesem Moment kam der Status des Erstgeborenen ins Blickfeld. Ja’akow entschied, dass er die Erstgeburt auf der Stelle erwerben musste. Ejsaw beschloss, dass er sie auf der Stelle loswerden musste.


Quellen und Persönlichkeiten:
Rav Eljakim Schlesinger: Autor des Buchs Bejt Aw; Rosch Jeschiwa in London.

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