Schawuot

Bejn Adam Lachawero als Vorbereitung zu Matan Tora

VON RAW A. A. RABINOWITSCH

Die Omerzeit gilt als Vorbereitungszeit für Schawuot und Matan Tora. Als die Benej Jisrael vor Matan Tora zum Berg Sinai kamen, steht im Passuk (Schemot 19,2): „Wajichan scham Jisrael neged Hahar – und Jisrael lagerte dort dem Berg gegenüber“. Zur Stelle bringt Raschi im Namen von Chasal (unsere Weisen): „Wajichan steht in der Einzahl; das will uns sagen: Sie lagerten dort vereint wie ein Mann mit einem Herz“.

Ich möchte versuchen, zu dieser Raschi einige Ausschnitte einer Drascha (Vortrag) von Raw A. L. Steinmann schlita anlässlich einer Versammlung zum Chisuk (Stärkung) von "Mizwot bejn Adam Lachawero" (Gebote zwischen dem Menschen und seinem Nächsten) wiederzugeben.

Als der Klal Jisrael beim Berg Sinai stand, waren sie ein Volk von ca. fünf Millionen Menschen, Frauen, Kinder und ältere Leute eingerechnet. Dass in einer solchen Menschenmenge eine absolute Eintracht herrschen soll, als ob es eine Person wäre, ist auf natürliche Art fast ausgeschlossen. Diese aussergewöhnliche Achdut (Einheit) grenzt an ein „Ness“, ein Wunder. Diese Achdut war aber eine absolute Vorbedingung für Matan Tora. In den 49 Tagen zwischen Jeziat Mizrajim und Matan Tora mussten sich die Jehudim auf dieses grosse Ereignis vorbereiten.

Bekanntlich war das jüdische Volk in Mizrajim in 49 Stufen von Tum'a (Unreinheit) versunken. Mit diesen Stufen sind hauptsächlich „Midot Raot – schlechte Eigenschaften“ gemeint, die sie von den Mizrim gelernt hatten. An jedem der 49 Tage arbeiteten sie an einer dieser 49 Eigenschaften. Aus diesem Grund ist bis zum heutigen Tag die Omerzeit besonders dafür geeignet, Midot Raot – schlechte Eigenschaften zu verbessern.

Wir erwähnen jeden Tag am Anfang des Dawenen (Schacharit-Gebetes) die Mischna und Barajta von Peah, die von Mizwot spricht, deren Lohn für Olam Haba, (die zukünftige Welt) bestehen bleibt, deren Früchte aber schon auf dieser Welt genossen werden können. Die meisten dieser Mizwot sind „bejn Adam Lachawero – zwischenmenschliche Beziehungen“, wie zum Beispiel Gemilut Chassadim (Ausüben von Wohltaten), Hachnasat Kalla, Krankenbesuche, Tote begraben und Hawa'at Schalom – Friedensstiftung, etc. Von hier sehen wir auch die besondere Wichtigkeit der Mizwot bejn Adam Lachawero – zwischen Mensch und Mensch (Raschi zur Mischna Anfang Peah).

Natürlich müssen alle Mizwot erfüllt werden, sowohl diejenigen Bejn Adam LaMakom (Pflichten gegenüber G"tt) als auch diejenigen bejn Adam Lachawero, doch haben die Mizwot bejn Adam Lachawero einen ganz besonderen Stellenwert und sind eine Vorbedingung für Matan Tora.

Im Talmud Jeruschalmi wird folgende Begebenheit von Rabbi Pinchas ben Jair, dem Schwiegervater von Rabbi Schimon ben Jochai gebracht: Er war auf dem Weg in das Bejt Hamidrasch zum Lernen. Da kam er bei einem Fluss vorbei, der über die Ufer getreten war und es war lebensgefährlich, den Fluss zu überqueren. Rabbi Pinchas ben Jair erreichte durch seine Grösse in Tora und Zidkut (Frömmigkeit), dass der Fluss sich spaltete und er problemlos hindurchgehen konnte. Die Talmidim (Schüler), die ihn begleiteten, fragten, ob sie den Fluss auch überqueren dürfen, damit auch sie in das Bejt Hamidrasch kommen können. Die Antwort von Rabbi Pinchas war: „Wer sicher ist, dass er noch nie in seinem Leben durch eine Handlung oder durch Worte einen anderen Jehudi verletzt hat, der kann hinübergehen und es wird ihm nichts passieren.“ Auch hier sehen wir die Wichtigkeit der Mizwot bejn Adam Lachawero, denn er sagte ihnen nicht, wer sich irgendeiner Awejra (Sünde) zwischen dem Menschen und Haschem bewusst ist, kann den Fluss nicht überqueren, ohne Schaden zu erleiden. Sogar derjenige, der einem anderen Jehudi mit Worten kränkte und nachher um Mechila (Verzeihung) bittete, konnte nicht hinübergehen. Auch nach der Mechila, trotz der Entschuldigung hat er etwas von seiner Madrega (geistigen Stufe) eingebüsst.

Das Schlemut (Vollkommenheit) eines Jehudi in den zwischenmenschlichen Beziehungen bringt ihn schliesslich zum Schlemut in den Mizwot bejn Adam LaMakom.
So finden wir auch, dass die zwei Bundestafeln – die „Luchot“ – in der Tora (Schemot 31,18 und Dewarim 9,11) ohne „Waw“ wie „Luchat“ in Einzahl geschrieben werden, um auf die Unzertrennbarkeit der beiden Tafeln hinzuweisen. Die eine Tafel enthält Mizwot bejn Adam LaMakom und die andere Mizwot bejn Adam Lachawero.

In der Gemara (Traktat Schabbat 31a) wird uns erzählt: Ein Nichtjude kam zu Hillel und sagte, er möchte zum Judentum übertreten unter der Bedingung, dass Hillel ihn die ganze Tora lehre, während er auf einem Fuss steht. Das heisst, er wollte in Kürze die Grundprinzipien der ganzen Tora erfahren. Hillel sagte ihm: „Was dir verhasst ist, sollst du auch einem anderen nicht antun. Dies ist die ganze Tora und der Rest ist die Erklärung dazu, gehe und lerne es“.

Selbstverständlich muss ein Jehudi alle Mizwot der Tora genau einhalten, aber von hier sehen wir, führte Raw Steinmann aus, dass die Mizwot bejn Adam Lachawero einen besonderen Stellenwert haben und wenn sie richtig eingehalten werden, verhelfen sie dem Menschen dazu, auch die Mizwot bejn Adam LaMakom zu erfüllen.

What do you think?

Send us feedback!

Drucken